Das verschenkte Potenzial.

Auch in der Schweizer Werbebranche landen nur wenige Frauen in der Chefetage. 

Diskrepanz: 
Die Welt der Werbung ist weiblich: mit einem Anteil von bis zu 62 Prozent an Arbeitsbienen. Karriere machen aber vor allem die männlichen Kollegen.
von Andrea Bison

Werbung ist immer noch eine von Männern dominierte Branche. Laut Angaben des Institute of Practitioners in Advertising halten Frauen nur 30% der leitenden Positionen. Schauen wir eine Stufe höher in die Kaderpositionen, halbiert sich die Zahl noch mal. Und lediglich drei Prozent aller Kreativchefs weltweit sind weiblich. Auch in Cannes, bei der grössten und wichtigsten Veranstaltung der Kreativindustrie, zeigt sich das gleiche Bild: Von über 10 000 Werberinnen und Werbern aus aller Welt, die sich beim letzten Festival versammelt, um die beste Werbung zu küren und über die Zukunft der Branche zu diskutieren, waren nur 15 Prozent der Teilnehmer unter 28 Jahren weiblich. Bei den älteren Teilnehmern fällt der Anteil gar auf vier Prozent. 

Die Lage in der Schweiz ist auch nicht besser: Nur 15 Prozent der Top-Kader-Ebene der grossen Agenturen sind Frauen. Beim ADC Switzerland gibt es keine einzige Frau im Vorstand und beim diesjährigen Wettbewerb gerade mal eine Frau in einer Gold Jury.

Pünktlich zum internationalen Tag der Frauen wurde am 8. März der «Schilling-Report» in Zürich veröffentlicht. Die Entwicklung ist leider ernüchternd, die Gleichstellungsziele sind weiter in die Ferne gerückt: Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der grössten Arbeitgeber im Land ist gesunken. Und auch in der Kommunikationsbranche sind die Zahlen tief.

In einer Welt, in der Frauen mehr als 80 Prozent der Verbraucherausgaben beeinflussen und 60 Prozent an allen Social Media Shares haben, scheint dies, als hätte uns jemand um den Verstand gebracht.
 

MEHR FRAUEN, MEHR UMSATZ
Abgesehen von der grundsätzlichen Frage der Gleichberechtigung, hat die Forderung nach mehr Frauen im Topmanagement also keineswegs nur ideellen Wert. Sie folgt auch ökonomischer Vernunft, denn mehr Vielfalt im Führungsteam führt zur besseren Gesamtperformance eines Unternehmens. Internationale Studien haben bewiesen, dass Frauen signifikant zum Unternehmenserfolg beitragen. Gemischte Führungsteams erzielen bessere Performance. Ein um 30 Prozent höherer Frauenanteil in der Chefetage geht mit einem um 15 Prozent höheren Netto-Umsatz einher. Dabei ist es nicht so wichtig, dass es Frauen bis ganz an die Spitze, also bis zur Vorstandsvorsitzenden schaffen. Es reicht schon, wenn ausreichend Frauen Vorstandsmitglieder oder Mitglieder der Führungsebene sind.

Neben der grundsätzlichen Frage der Gleichstellung und dem wirtschaftlichen Aspekt liegt eine weitere Antwort auf der Hand, warum wir in den Agenturen noch mehr Vielseitigkeit in den führenden Rollen brauchen: Talent. Talente bringen Kreativität. Und Kreativität ist unser Kapital. Dabei geht es nicht um das Geschlecht, sondern um Können. Talente sind rar, wir können uns gar nicht leisten anders zu denken.

Arbeitgeber müssen mehr Flexibilität zeigen und sich von alten Mustern verabschieden. Das kann in Lebensabschnitten sein, in denen andere Arbeitszeiten erforderlich sind, Meetings, die nicht mehr am Abend stattfinden oder beim der Abschied von der Always-on-Mentalität.

Männer müssen bereit sein von traditionellen Geschlechterrollen abzuweichen, neue Wege zu bestreiten und mehr Pflichten zu übernehmen, zum Beispiel auch zu Hause, um die Belastung gleichmässiger zu verteilen – denn auch hier sollte die Gleichberechtigung nicht enden.

Und die Frauen müssen, wenn sie es wollen, aktiv in die Führung gehen und in Teilen bereit sein zu verzichten. Frauen zeigten in einer Studie unter Studierenden mehr Fleiss, einen durchschnittlich höheren IQ und ebenso viel Talent für Spitzenleistungen, aber im Vergleich mit den männlichen Kommilitonen weniger Streben nach Macht und Führungspositionen. Es liegt also die Vermutung nahe, dass nicht jede talentierte Frau eine Spitzenposition als Ziel vor Augen hat. Aber wenn sie es hat, dann muss frau aktiv in die Führung gehen. Geschenkt wird nichts.

ELTERN SIND BENACHTEILIGT
Und last but not least wird sich nichts verbessern, wenn die strukturellen Voraussetzungen nicht geschaffen werden. Das Fehlen von Tagesschulen und Mittagsplätzen schränkt Frauen mit Kindern ein. Und die Kinderbetreuung ist sehr teuer. Das benachteiligt Eltern und nimmt der Wirtschaft viel Potenzial.

Das bestätigt der Glass Ceiling Index des britischen Wirtschaftsmagazins «The Economist». Der Index erfasst wie gut oder eben schlecht Frauen in den Arbeitsmarkt eines Landes integriert sind. Nur in Südkorea, Japan und der Türkei sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch schlechter gestellt als in der Schweiz. Besonders schlecht schnitten wir in vier Kategorien ab: bei der Schulbildung der Frauen (letzter Platz), der Lohngleichheit (Platz 21), der Kinderbetreuung (zweitletzter Platz) und dem Mutterschaftsurlaub (drittletzter Platz).

Dabei hilft es nicht, dass in fast keinem europäischen Land mehr Teilzeit gearbeitet wird als bei uns. Denn Kaderjobs gibt es eigentlich nur in 100-Prozent-Pensen – und selbst das reicht oft nicht aus.
Es geht also darum, das Potenzial der Frauen mehr zu nutzen und den verborgenen Talenten eine Chance zu geben.

Und es geht ja: Ein Vorbild ist Ikea. Das Unternehmen hat vor Jahren die Wende eingeleitet und bereits heute die 50-Prozent-Frauenanteil in seiner Belegschaft und auch in den Führungspositionen erreicht.

Wir bei thjnk glauben an die Kraft der Vielfalt. Für uns ist nicht Mann oder Frau entscheidend. Sondern das Talent. Den Vielfalt kommt von selbst, wenn Leistung objektiv betrachtet wird.

ANDREA BISON


Nach zehn Jahren bei thjnk Hamburg gründete die Wahlschweizerin 2016 mit Alexander Jaggy thjnk Zürich. Andrea Bison hat zwei Söhne im Alter von 2 und 4 Jahren.

zurück zur Übersicht