«In uns steckt viel dunkelgrünes Blut.»

07.11.19 - HORIZONT Report Schweiz, Bärbel Unckrich im Interview mit Alexander Jaggy.

Sie haben dieses Jahr auf internationalem Parkett mehr Award-Lorbeeren eingeheimst als Ihre Schweizer Wettbewerber. Darunter allein vier Cannes-Löwen. Glücklicher Zufall oder gezielte Strategie?
Wenn wir eine Strategie hatten, dann die, bewusst schlank und gezielt einzureichen. Dazu braucht es aber auch ein gutes Zugpferd wie unseren Pro-Infirmis-Spot. Wer sich nur ein bisschen mit Kreativwettbewerben auskennt, weiß, dass am Ende vieles zusammenpassen muss: Auftraggeber, Idee, Umsetzung und eine gute Portion Glück. Wirklich planen kann man solche Erfolge nicht.

Eines haben Sie in Ihrer Aufzählung vergessen: das richtige Timing. Dieses Jahr gab es bei den Cannes Lions so viele Gewinner aus dem Bereich Inklusion wie nie zuvor. Der Pro-Infirmis-Spot hat sich da hervorragend eingefügt. Wie sehr bestimmen gesellschaftliche Sujets wie Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit aktuell die Agenda der Schweizer Kommunikationsagenturen?
Für NGOs sind solche Anliegen natürlich nicht neu, aber wir spüren durchaus, dass immer mehr kommerzielle Marken diese Themen ebenfalls für sich entdecken – und zwar nicht nur, um Green oder Pink Washing zu betreiben, sondern weil das tatsächlich geschäftsrelevant geworden ist. Als Kreativer kann ich diese Entwicklung nur begrüßen, weil darin wahnsinnig viele Chancen liegen.

Haben Sie diesbezüglich konkrete Beispiele aus Ihrem Tagesgeschäft?
Haltungskampagnen sind in der Schweiz leider noch viel zu selten. Das ist schade. Denn Marken und Themen gäbe es eigentlich genug. Haltung kostet ja nichts und eine gute Haltungskampagne muss es auch nicht. Aber am Ende siegen dann eben doch meist die Geschäftsvernunft, das Preisangebot, der Störer, der Tag-on.

Eben sagten Sie doch noch, dass diese Themen geschäftsrelevant werden.
Ja, dieser Meinung bin ich auch. Trotzdem brauchen solche Entwicklungen in der Schweiz generell immer ein bisschen länger. Die angelsächsischen Länder gehen meist voran, dann folgt schon bald Deutschland und eine ganze Weile später erst die Schweiz. Wir warten gerne erst mal auf erfolgreiche Praxisbeispiele, bevor wir uns an neue Themen herantrauen. Die Schweizer Kunden verwechseln Haltungskommunikation auch gerne mal mit Imagewerbung. Dabei ist das etwas völlig anderes. Auch das Thema „Purpose“, also sinnstiftende Kommunikation, ist in der Schweiz noch viel zu wenig durchdrungen. Da haben wir noch richtig viel nachzuholen.

Bei den Cannes Lions geht es gefühlt um nichts anderes mehr. Wie vermitteln Sie Ihren Kunden, dass gesellschaftliche Themen der Weg in die Zukunft sind?
Die Cannes Lions sind für Schweizer Kunden kein Maßstab. Es interessiert die nicht, was Nike oder Unilever in den USA machen. Einen Schweizer Kunden kannst du nur überzeugen, wenn du ihm glaubhaft versichern kannst, dass „Purpose“ immer wichtiger für den geschäftlichen Erfolg wird. Marken, die dem Verbraucher keinen Mehrwert vermitteln, werden über kurz oder lang nicht überleben. Größere Unternehmen sind für diese Einsicht empfänglicher, aber wann immer es um Abverkauf geht, kämpfst du gegen Windmühlen. Die Kunden interessieren sich aktuell viel eher für digitale Formate, wo man ganz konkrete Erfolgsmessungen anstellen kann.

Das hat aber oft wenig mit langfristigen Erfolgen zu tun. Abgesehen davon sind es doch die Verbraucher, die mit herkömmlicher Werbung immer weniger anfangen können. Ticken die in der Schweiz denn so viel anders?
De facto gibt es einen großen Unterschied in der Kaufkraft. Wo der Deutsche wahnsinnig schnell auf den Preis schaut und gerne mal einem Schnäppchen hinterherrennt, ist der Schweizer durchaus bereit, tiefer in die Tasche zu greifen. Qualitativ hochwertige Produkte lassen sich hier sehr gut absetzen. Wir haben beispielsweise seit jeher die meisten iPhone-Käufer und der Schweizer kauft trotz des allgemeinen Tempolimits von 120 Stundenkilometern auch gerne mal hoch motorisierte Spezialversionen der Premium-Automobilhersteller. Wir sind völlig übermotorisiert und überversichert. Es gibt also schon einige Unterschiede.

Kommen wir noch mal zurück zu den Herausforderungen im Tagesgeschäft.Mit welchen Kunden wollen Sie an den Pro-Infirmis-Erfolg anknüpfen?
Solche Erfolge sind schwer planbar und schon gar nicht wiederholbar. Ich bin auch gar kein Freund davon, sich selbst zu kopieren, indem ich ein ähnliches Thema für einen anderen Kunden umsetze. Mein Ziel ist es viel mehr, immer wieder in neue Themenbereiche einzutauchen undMarken wachzuküssen, bei denen andere vielleicht aufgeben, weil sie der Meinung sind, für diese Kunden könne man ohnehin nichts Spektakuläres machen. Wir versuchen, das Niveau jeden Tag so hoch wie möglich zu halten. Unsere ganze Energie fliesst in die Qualität des Tagesgeschäfts. Ich glaube an so etwas wie Kreativkarma. Wenn man sich stets Mühe gibt, das Publikum zu belohnen, wird man selber irgendwann belohnt.

Sie konnten sich dieses Jahr erstmals im Schweizer Kreativranking platzieren – und zwar auf Anhieb auf Platz 5. Wie wichtig ist es Ihnen, dort weiter mitzuspielen?
Bei unserer Gründung haben wir uns das Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren die Top 10 und innerhalb von fünf Jahren die Top 5 zu erreichen. Somit sind wie vor unserem Plan sogar schon deutlich voraus. Angesichts unserer überschaubaren Größe ist diese Platzierung allerdings volatil. Das ist mir durchaus bewusst. Außerdem ist das Kreativranking auch gar nicht so relevant in der Schweiz. Es wird zumindest weniger beachtet als einzelne Kampagnen, die ein großes Medienecho auslösen. Letztere sind viel eher Magnet für Auftraggeber und Talente als das Kreativranking.

Nichtsdestrotz sind Sie kreativ Award- und Ranking-Erfolge noch aus Ihrer Zeit bei Jung von Matt/Limmat gewohnt. Wie viel von Ihrem ehemaligen Arbeitgeber steckt in thjnk Zürich?
In thjnk Zürich steckt viel dunkelgrünes Blut, keine Frage. Man darf allerdings nicht vergessen, dass in Jung von Matt auch viel Springer & Jacoby drinsteckt. Einer Agentur, der ich, speziell was Haltung und kreativen Anspruch angeht, sehr viel zu verdanken habe. Die Managementprinzipien von Reinhard Springer & Konstantin Jacoby sind heute noch bestechend einfach und effizient.

Wie sieht es mit Gemeinsamkeiten mit Ihrer deutschen Muttergesellschaft aus?
Wir leben das thjnk-Gedankengut, die Philosophie und Kultur auch in der Schweiz. Andrea hat ja zehn Jahre lang bei thjnk in Deutschland gearbeitet. Sie ist eine großartige Ambassadorin. Ich denke, der größte Unterschied ist, dass wir in der Schweiz ein eigenes Biotop aufbauen mussten, was uns bis heute prägt. Ein Set an eigenen Kunden, eigenen Mitarbeitern und eigenes Netzwerk an Expertisen. thjnk Zürich ist eine inhabergeführte Schweizer Agentur. Das bringt einen ganz anderen Schwung herein.

Aber letztlich sind Sie Teil des thjnk- Netzwerks, das wiederum zu WPP gehört. Welche Synergieeffekte ergeben sich dadurch?
Wir greifen bei einigen Kunden durchaus auf die Expertise im Netzwerk zurück. BeiEdelweiss und Ochsner Sport arbeiten wir beispielsweise sehr eng mit Loved im Bereich Branding und Design zusammen und mit upljft im Bereich Social Media.

Vor einem Jahr haben Sie angekündigt, sich im Bereich PR/Campaigning und Content breiter aufzustellen. Was ist daraus geworden?
Wir haben den Fokus zuletzt eher auf Digital und Social Media gelegt und uns da auch personell verstärkt. Im Content-Bereich haben wir mit Loved einen sehr guten Partner. Und das Thema PR und Campaigning haben wir erst mal hinten angestellt.

Mit welchen anderen Themen beschäftigen Sie sich stattdessen?
Ganz oben in der Leistungspyramide mit «Woke Advertising» und ganz unten mit digitalen Werbemitteln, die teilautomatisiert hergestellt werden. Wir haben einige neue Mandate wie Durgol, Hockey Club Davos sowie zwei größere Etats gewonnen, die ich noch nicht kommunizieren kann. Bis Ende des Jahres sind wir stark mit exekutionellen Aufgaben beschäftigt. Anfang 2020 wird man also einiges von uns sehen.

Der Kopf
Alexander Jaggy zählt zu den renommiertesten Kreativen in der Schweiz. Bevor er thjnk Zürich im Juni 2016 zusammen mit Andrea Bison gegründet hat, feierte er als Executive Director und Partner 15 Jahre lang bei der Schweizer Niederlassung von Jung von Matt Erfolge. Seine Karriere begann bei BBDO in Zürich und führte ihn über GGK und Springer & Jacoby zu JvM und schließlich zu thjnk Zürich. Dort betreuen 15 Mitarbeiter Kunden wie Edelweiss Air und Ochsner Sport. Neben Jaggy und Bison gehört Stratege Gordon Nemitz zur Geschäftsführung.

 

 

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